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16.02.2007 - Offenburg, 11 Uhr morgens. Die Passanten eilen durch die Stadt. Die Wolken hängen tief, es soll schneien. Vor einem Schaufenster, dekoriert mit warmer Winterkleidung, sitzt eine junge Frau, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen. Sie starrt zu Boden, die Augen halb geschlossen, vor ihr der Pappbecher, in dem morgens noch heißer Kaffee dampfte. Nicole ist eine unter vielen, die sich Geld mit Betteln verdient. Die Stadt toleriert das, solange das Betteln nicht aggressiv ist.
Die 24-Jährige mit dem kindlichen Gesicht sieht eigentlich nicht aus wie eine Bettlerin. Mit ihrer modischen Winterjacke, Jeans und Turnschuhen unterscheidet sie sich nicht von herkömmlichen Schulmädchen. Manchmal, wenn eine Münze im Pappbecher klirrt, bedankt sie sich. Manchmal bleibt sie stumm. Doch manchmal, wenn sie ein Vorbeilaufender mitleidig fragt, warum ein junges Mädchen bei eisiger Kälte auf dem Boden sitzt und bettelt, dann erzählt sie ihre Geschichte.
\r\n Die Geschichte handelt von ihrer zweieinhalbjährigen Tochter, die sie nicht sieht, weil sie in einer Pflegefamilie lebt. Von Nicoles Mutter, die eine Prostituierte war, von einer Kindheit, erst im Heim, dann bei der Großmutter. Die Geschichte handelt von Drogensucht, Haschisch, LSD, Ecstasy, später Heroin. Von dem schmerzlichen Entzug, von vielen Therapien und ihren Abbrüchen. Von Diebstählen, Betrug und zwei Monaten im Bühler Frauenknast. Es ist eine Geschichte über Verluste und die Angst davor, über Liebe und die Sehnsucht danach und über Hass, der oft in Selbsthass umschlug.
Jetzt sitzen wir in einem Offenburger Café. Nicole reibt die kalten Hände aneinander und bestellt sich eine heiße Schokolade. Im Gespräch wirkt sie offen. »Ich bin sehr vertrauensvoll«, sagt sie, »das ist manchmal auch naiv«. Erst zaghaft, dann ausführlich redet sie über die 24 Jahre ihres Lebens. »Könnte ich schreiben, dann wäre das jetzt bestimmt ein Roman.« Vielleicht hätte sie wirklich das Zeug dazu. Denn sie hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Sie erinnert sich an kleinste Details. An Wochentage und Uhrzeiten, an Worte und Gesten, an Höhen – und die Tiefen. In insgesamt sechs Jahren Psychoanalyse, Verhaltenstherapie und Kunsttherapie hat sie gelernt, ihre Erlebnisse präzise in Worte zu fassen. So, als würde sie einzelne Kapitel eines dicken Buches aufschlagen und Passagen daraus vorlesen.
Die Geschichte ihrer Kindheit ist so unglaublich, dass man sich fast schon fragt, ob sie stimmt.
Nicole beschreibt sich als einsames Kind. Immer sei da ihre Sehnsucht nach Liebe gewesen. Oft wurde sie enttäuscht. Mit sechs Monaten gab ihre Mutter, eine 18-jährige Prostituierte, Nicole ins Heim. »Sie wollte ihr eigenes Leben haben, unabhängig sein.« Ihre Oma habe sie dann rausgeholt, sie zu sich genommen. Nicoles Vater, ein Hartz-IV-Empfänger, wollte nie etwas von seiner Tochter wissen. Dass Nicoles Mutter ihr Geld als Hure verdiente, durfte keiner erfahren. »In den Ferien musste ich zu ihr, meiner Oma durfte ich von dem Doppelleben nichts erzählen. Meine Mutter erpresste mich, drohte, dass ich für immer bei ihr bleiben müsste, sollte ich sie verraten.« Aus Angst habe sie geschwiegen. Geschwiegen, als ihre Mutter sie mit Stöckelschuhen verprügelte, geschwiegen, als sie mit Gürteln geschlagen wurde, geschwiegen, als Freier sie vergewaltigten und geschwiegen, als die Mutter das Geld dafür kassierte.
Wenn sie über ihre Vergangenheit redet, klingt das abgehärtet. Nicole macht eine kleine Pause und sagt: »Als ich vom Tod meiner Mutter erfuhr, lachte ich. Sie wurde ermordet. Da war ich 14. Meine Oma hatte Geburtstag. Wir gingen spazieren, als sie es mir sagte.« Eine Last fiel von ihr, die sie jahrelang auf ihren kindlichen Schultern hatte tragen müssen. »Ich war endlich erlöst – froh, dass sie tot war.« Doch auf die Freude folgte der Nervenzusammenbruch.
Ihr Schweigen hat sie längst gebrochen. »Ich bin kein Kind mehr, ich bin jetzt eine Frau«, sagt sie – fast energisch. Und plötzlich sitzt da nicht mehr das zarte, hilflose Mädchen, das alles in sich reinfrisst, sondern eine selbstbewusste Frau. Diese Frau will, dass die Narben ihrer Vergangenheit heilen. Sie will, dass die Gegenwart überwiegt, das Hier, das Jetzt.
Doch die Vergangenheit
lässt sich nicht einfach zuklappen wie ein Buch. Da ist zum Beispiel ihre Drogensucht. »Das wird mich mein Leben lang begleiten«, sagt sie. Neun Jahre sei sie abhängig gewesen, erst Haschisch, später Heroin. Sie habe den falschen Umgang gehabt, sei immer tiefer hineingerutscht. Pillen, Ecstasy und Kokain hätten zwangsläufig zum Heroin geführt. Und dann auf dem Höhepunkt ihrer Abhängigkeit sei sie schwanger geworden.
Bei der Geburt vor zweieinhalb Jahren war Nicole hochgradig abhängig, ihr Baby musste sofort auf Entzug und wurde ihr weggenommen. Nicole darf den Aufenthaltsort nicht erfahren. Das Jugendamt sagt, sie sei nicht erziehungsfähig. Ab und zu kann sie die Kleine für kurze Zeit in den Räumen des Kinderschutzbundes sehen. Sie zieht ein Foto aus der Tasche. Es ist gerahmt. Auf dem Bild ist ein kleines Mädchen mit Bommelmütze zu sehen, es krabbelt auf dem Boden. Irgendwo auf einer fremden Terrasse einer Pflegefamilie. Nicole steckt das Foto wieder zurück in die Tasche. »Sie hat unglaublich große Augen«, sagt sie.
Auch Nicoles Augen sind groß. Je länger sie erzählt, desto weiter öffnen sie sich. Die Drogen. Immer wieder habe sie versucht, die Finger davon zu lassen. Doch genauso oft sei der Rückfall gekommen. Weil das Geld nicht reichte, beging sie kleine Diebstähle und Betrügereien. Sie wurde beim Schwarzfahren erwischt und mit Haschisch. Das brachte ihr Geldstrafen und Arbeitsstunden. Als sich die Taten häuften, landete sie im Knast.
Ist dies das zwangsläufige Ende eines Lebensweges, der in eine Sackgasse führte?
»Im Gefängnis war sie clean.« Das sagt ein Stuttgarter Anwalt, der Nicole in dem Bemühen unterstützt hat, dass sie frühzeitig entlassen wird. »Sie soll eine Chance haben«, sagt der Jurist, der mehrere Frauen im Bühler Gefängnis verteidigt. »Wenn man willens ist, rauszugehen und sich sofort in eine Therapie zu begeben, dann kann man es schaffen.« 30 Prozent der Frauen würden von den Drogen wegkommen und ein normales Leben führen.
Die Worte des Anwalts sind Nicoles Traum. Der Traum eines normalen Lebens, mit einer normalen Familie – und mit ihrer Tochter. Seit Nicole im Januar aus dem Gefängnis entlassen wurde, sieht man sie oft in der Offenburger Fußgängerzone. Die Beine angezogen oder über Kreuz geschlagen, den Blick auf den Boden gesenkt.
Nicole wohnt 200 Kilometer von Offenburg entfernt in einer WG. Sie lebt von Hartz IV. Wenn das Geld nicht reiche, komme sie nach Offenburg zum betteln. »Ich sitze hier, weil ich nicht mehr straffällig werden will«, sagt sie. Es gibt viele Menschen, die ihr ein paar Euro in den Pappbecher werfen. Aus Mitleid. Oder, wie einer sagt, weil es ihm nicht weh tue.
Der Sozialarbeiter Roland Saurer, Leiter der Wohnungslosenhilfe Offenburg, kennt ähnliche Schicksale wie das von Nicole. »80 Prozent dieser Fälle sind integrierbar«, sagt er, »bis hin zu einem Arbeitsplatz mit Verantwortung«.
Nicole hat sich einiges für die Zukunft vorgenommen. Sie will ein Praktikum in einem Beerdigungsinstitut machen. »Vielleicht ergibt sich eine Ausbildung.« Sie sagt, sie hätte schon einen Platz. Am Montag soll es losgehen. Sie will für ihr Auskommen arbeiten. Sie will für sich selbst sorgen. Und für ihre Tochter. »Ich werde ihr finanziell nicht viel bieten können. Ich will sie nur bei mir haben. Sie soll keinen Schaden nehmen. Ich möchte ihr die Liebe geben, die ich nicht hatte.« Nicole will das Sorgerecht für ihre Tochter erstreiten. Der Anwalt aus Stuttgart hat zugesagt, dass er sich darum kümmern möchte. Nicole glaubt, dass sie eine gute Mutter sein könnte.

 


Aktuelle Themen: Teil 1: Drogen (Ein Bericht der Acher-Rench-Zeitung)\r

Betteln nach Liebe
\r\n Warum sitzt ein »ganz normales« Mädchen in der Fußgängerzone? /Das Schicksal von Nicole (24)

Drogen, Vergewaltigung, Gefängnis: Es gibt kaum etwas, was die 24-jährige Nicole nicht durchgemacht hat. Nun bettelt sie in der Fußgängerzone, um nicht mehr straffällig zu werden.
 
   
 
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